Jaques und May Futrelle

von Thorsten Totzke


Jaques Futrelle
Sammlung Thorsten Totzke

Was haben Kriminalromane, eine der erfolgreichsten Radiohörspielserien Deutschlands, ein toter amerikanischer Autor, ein erfolgreicher deutscher Autor und die Titanic gemeinsam?

Die Gemeinsamkeit heißt in diesem Fall Prof. Dr. Dr. Dr. Augustus van Dusen genannt die Denkmaschine.

Neben meiner Leidenschaft für die Titanic und andere Passagierschiffe habe ich noch ein anderes kleines Hobby.

Ich höre sehr gerne Hörpspiele. Viele kennen aus ihrer Jugend sicherlich noch Hörspielserien wie z.B. Die Drei Fragezeichen, TKKG, Fünf Freunde, John Sinclair, Hui Buh, Karl May oder auch Kindernserien wie Benjamin Blümchen oder Bibbi Blocksberg.

Ich stieß irgendwann auf eine Serie, von der ich bis dahin noch nicht gehört hatte. Die Serie mit dem Titel "Professor van Dusen" weckte meine Neugier, so daß ich mir eine Folge anhörte.

Es war ein Kriminalhörspiel mit dem Titel "Eine Unze Radium".

Ich fand diese Folge sehr interessant, da es um einen eigentlich unmöglichen Diebstahl ging und das Ganze im Jahr 1899 spielte, also einer Zeit, die mich interessiert.

Ich fragte mich, wieviele Folgen es wohl geben mag und warum es dieses Hörspiel nicht im Laden zu kaufen gab.

Ich fing also an, ein wenig zu recherchieren und fand auch Informationen im Internet. Ich bekam heraus, daß die Serie nur im Radio beim RIAS Berlin ausgestrahlt worden war.

Der Autor der Serie hieß Michael Koser und die Hauptcharaktere dieser Serie wurden schon 1906 von einem Autoren namens Jacques Futurelle erfunden.

Jetzt wurde ich hellhörig. Sollte es sich um DEN Jacques Futrelle handeln?

Den, der zusammen mit seiner Frau an der Jungfernfahrt der Titanic teilgenommen hatte?

Jacques Heath Futurelle wurde am 09.04.1875 in Pike Country, Georgia, USA geboren. Seine Eltern waren Wiley Harmon Heath Futrelle, Lehrer an einem College in Atlanta und Linnie Bevill Futrelle.

Jacques ging auf eine öffentliche Schule und bekam zusätzlich noch von seinem Vater Unterricht in Allgemeinwissen und in Französisch.

Während der Schulzeit arbeitete er als "Mädchen für alles" bei einer Zeitung in der Nähe und später auch in einer Druckerei, wo er einiges über die mechanische Art des Druckens lernte.

Mit 18 Jahren trat er seinen ersten richtigen Job als Journalist beim Atlanta Journal an. Ein Jahr später, 1894, wechselte er zur Boston Post, wo er allerdings nur kurze Zeit blieb, bevor er zum Atlanta Journal zurückkehrte.

Zurück beim Atlanta Journal baute er eine Sportredaktion auf. Nebenbei jobbte er auch noch beim New Yorker Herald.


May Futrelle
Sammlung Thorsten Totzke

Am 17. Juli 1895 heiratete er Lillie May Peel im Hause ihrer Eltern David und Molly Peel in der Hilliastreet in Atlanta.

Nach der Hochzeit zog das frischvermählte Paar nach New York. Sie bezogen eine Wohnung am Gramercy Park unter 71 Irving Place.

Jacques arbeitete nun als Redakteur beim New Yorker Herald.

Am 08.11.1896 wurde seine Tochter Virginia geboren.

Am 1. Mai 1898 begann der Krieg zwischen Amerika und Spanien. Bis zum Ende des Krieges am 18. Juli 1898 arbeitete Jacques 24 Stunden am Tag.

Nach Ende des Krieges zogen Jacques und May nach Scituate/Massachusets in das Haus von Jacques Schwester.

Nur zwei Jahre nach dem Virginia geboren wurde bekam May am 20.11.1898 ein zweites Kind.

Der Junge wurde auf den Namen Jacques jr. getauft.

1902 verließ Jacques den New Yorker Herald und arbeitete für 2 Jahre als Theatermanager in Virginia. Er schrieb, führte Regie und trat sogar als Darsteller auf.

Im Jahr 1904 fing Futrelle an, für die neue Zeitung des Magnaten William Randolph Hearst - den "The Boston American" - zu arbeiten.

Sie wohnten nun in Cambridge, Massachusets. Etwa zu dieser Zeit entwickelte er die Figur des Professor van Dusen.

Er schrieb hauptsächlich Kurzgeschichten, die in Serienform im Boston American veröffentlicht wurden.

1906 gab er seinen Zeitungsjob auf, um ganztägig als Autor wirken zu können.

Zu dieser Zeit beginnt er auch Novellen zu schreiben und bringt sein erstes Buch "The Chase of the golden Plate", in dem auch Prof. van Dusen die Hauptrolle spielte, heraus.

Jacques und May wohnen mit ihren Kindern in Scituate, wo sie ein Haus gebaut haben, welches durch seine Lage mit Blick über den Hafen von Scituate als "Stepping Stones" bekannt wurde.


Stepping Stones
Sammlung Thorsten Totzke

Die Adresse war 33 Circuit Avenue, Scituate, Massachusets.

Die Familie Futrelle besass das allererste Kraftfahrzeug in der Stadt.

Mit dem Auto nahmen sie 1909 an einer von New York Herald und dem Atlanta Journal veranstalteten Fahrt von New York nach Atlanta teil.

1911 brachte Jacques sein Buch "High Hand" auf den Markt.

May brachte zur gleichen Zeit ein Buch mit dem Titel "Secretary of Frivolous Affairs" auf den Markt.

Beide heimsten sehr viel Lob für ihre Bücher ein.

Im Januar 1912 fuhren May und Jacques in die Alte Welt. Sie wollten sich in Europa mit einigen Verlegern treffen, um Jacques Romane auch in Europa zu verkaufen.

Nach den Verhandlungen verbachten sie noch einige Tage in England, bevor sie am 10. April mit der Titanic nach Amerika zurückkehren wollten.

Am 9. April wurden May und Jacques in London von Freunden eingeladen um den Geburtstag von Jacques, der an diesem Tag 37 Jahre alt wurde, zu feiern.

Die Party endete erst um 3 Uhr früh.

Daher kamen die Futrelle's gar nicht mehr ins Bett. Sie packten ihre Sachen und fuhren dann nach Southampton, wo sie an diesem Morgen an Bord gehen sollten.

May Futrelle sagte in späteren Jahren "if my husband had got drunk that night, he might not have sailed, and might be alive today. But he never did drink much" (Wenn mein Mann an diesem Abend betrunken gewesen wäre, wären wir nicht gefahren und er würde heute noch leben. Aber er trank nie viel).

Als die Futrelle's am 10. April 1912 die Gangway der Ersten Klasse betraten, um an Bord der Titanic zu gelangen, hatten sie Verträge im Wert von ca. 50.000 Dollar und 17.000 Dollar Bargeld, welches sie als Vorschuß bekommen hatten, dabei.

Das Geld stammte von britischen, französischen, schwedischen, holländischen und auch deutschen Verlagen, die die Geschichten, welche Jacques über seine "Thinkingmachine" geschrieben hatte, in ihren Ländern veröffentlichen wollten.

Hinter der "Thinkingmachine" verbarg sich niemand anders als Prof. Dr. Dr. Dr. Augustus van Dusen, genannt die Denkmaschine.

Die Futrelle's checkten als Erste Klasse Passagiere auf der Titanic ein. Für ihre Kabine C-123 hatten sie 53 Pfund und 2 Schiling bezahlt.

So stand es auf ihrem Fahrschein mit der Nummer 113803.

Sie waren richtig glücklich und auf dem Höhepunkt ihres Erfolges.

Jacques sagte May, wie sehr er ihre Kinder vemisste und daß er sich freue, sie bald wieder zu sehen. Den Abend des 14 Aprils verbrachten die beiden im Á-la-Carte Restaurant zusammen mit dem Theater Produzenten Henry Burkhard Harris und seiner Frau Renee, mit denen sie zu Abend aßen und über die letzte Broadway Saison diskutierten.

Jacques zog sich frühzeitig mit Kopfschmerzen zurück während May sich noch in die Schiffsbibliothek begab, obwohl diese ihrer Meinung nach nur langweilige Bücher enthielt.

Sie lieh sich ein Buch aus, welches sie schon kannte, und begab sich dann zu ihrem Mann in die Kabine.

Als die Titanic den Eisberg gerammt hatte und die Maschinen schwiegen, wollten sich die Männer erkundigen was passiert war, und so blieb May bei Renee in der Kabine der Harris, die sich genau gegenüber der Kabine von Jacques und May befand.

In einem Artikel der Boston Post, den May später verfasste, schrieb sie über diesen Moment: "Mrs. Harris hatte sich den Arm gebrochen und trug ihn in einer Schlinge. Ich umklammerte ihre freie Hand und zusammen warteten wir voller Angst schweigend auf die Rückkehr unserer Männer."

Als die Männer zurückkehrten, begleiteten sie ihre Frauen in den Salon, um dort auf den Aufruf zum Besteigen der Rettungsboote zu warten.

May schrieb später: "Der erste Schwung von Männern, denen die Todesangst im Gesicht anzusehen war, ereignete sich, als eine Gruppe von Heizern aus den Kesselräumen in den Salon kam. Ihre schwarzen, rußigen Gesichter erschienen in dieser hellen Beleuchtung verzerrt und wild. Das Auftauchen dieser Heizer war ein sicheres Zeichen, daß der Maschinenraum voll Wasser gelaufen war und daß das Herz des Schiffes nun nicht mehr schlug. Sofort war allen klar, daß die Schotten dem Druck des Wassers nichts entgegenzusetzen hatten. In diesem Moment spielte das Orchester "Alexanders Ragtime Band".

Jaques brachte seine Frau zum Rettungsboot.

Er selber blieb an Bord und das Letzte, was May sah, war, daß er sich eine Zigarette anzündete und wie John Jacob Astor ihn daraufhin auch um eine Zigarette bat.

Jacques starb in dieser Nacht.

Er hatte sein Leben lang Friedhöfe gehasst und sich immer eine Seebestattung gewünscht.

Wenigstens dieser Wunsch wurde ihm erfüllt.

Als May mit der Carpathia in New York eintraf, wurde sie dort bereits von Robert Norton, einem Reporter der Boston Post erwartet, der sie zu einem wartenden Wagen geleitete.

May überlebte den Untergang und lebte in Scituate mit ihrer Tochter.

Die nächsten Jahre ihres Lebens arbeitete sie daran, die 17000 Dollar zurückzuzahlen, die sie als Vorschuß bekommen hatten und die mit Jacques und der Titanic im Nordatlantik versunken waren.

Außerdem waren auch einige Geschichten mit versunken, die Jacques während der Europareise geschrieben hatte.

Höchstwahrscheinlich befanden sich darunter auch einige Geschichten mit der Denkmaschine van Dusen.

May veröffentlichte die Bücher von Jacques in Fortsetzungen.

Ende 1912 wurde das Buch "My Lady`s Garter" von Jacques posthum veröffentlicht.

May widmete das Buch
"To the Heroes of the Titanic - I Dedicate this my Husband's Book - May Futrelle"
(den Helden der Titanic widme ich dieses Buch von meinem Mann - May Futrelle)

1916 schrieb sie selbst einen weiteren Roman.

In den 30er Jahren gab sie in Boston und New York Kurse für kreatives Schreiben und war Gastgeberin einer CBS-Radioshow mit dem Titel "Möchten sie Schriftsteller werden?".

Die Amerikanische Liga der Frauen machte sie zu ihrer Vorsitzenden, als sie 1940 praktisch im Alleingang ein neues bundesweites Urheberrecht durch den US-Kongreß brachte.

Im zunehmenden Alter wurde May streitbarer und es gibt einige Hinweise, daß eine Alzheimer Erkrankung zu dieser Entwicklung beitrug.

An jedem 15 April stand sie in der Nähe ihres Hauses in Scituate auf der Klippe und warf einen Blumenstrauß in den Atlantik.

May starb am 22.10.1967 an akuter Broncho Pneunomia, einer Art Lungenentzündung.

Sie wurde am 2. November 1967 auf dem St. Mary`s Friedhof in Scituate beerdigt.

Eine Gedenkplakette für Jaques befindet sich bei dem Grab seiner Mutter auf einem Friedhof in Georgia.

Hier könnte man glauben endet die Geschichte. Das würde stimmen, wenn nicht zehn Jahre nach May's Tod der deutsche Autor Michael Koser einige von Jacques Futrelle's Romanvorlagen als Hörspiel aufbereitete und diese dem RIAS in Berlin angeboten hätte.

Dem RIAS gefiel die Idee und so wurde 1978 die erste Prof. van Dusen Folge ausgestrahlt.

Koser setzte ersteinmal 6 Vorlagen von Futrelle um. Die restlichen Vorlagen waren nicht gut geeignet, um ein Hörspiel daraus zu machen.

Der RIAS wollte aber mehr.

Bei Ferien in Frankreich kam Koser die Idee, selber neue van Dusen-Geschichten zu schreiben und diese als Hörspiel umzusetzen.

Michael Koser, der am 24.04.1938 in Berlin geboren wurde, studierte Geschichte, Germanistik und Politik, was man auch in seinen Hörspielen merkt.

Viele zeitgenössische Personen tauchen auf und selbst die Handlungsorte werden meist perfekt beschrieben.

1961 siedelte Koser aus der DDR nach West Berlin über und beginnt 1965 als freier Autor für den Rundfunk zu arbeiten.

In der Zeit von 1971 bis 1999 schrieb er mehr als 100 Hörspiele für den Rundfunk und er bekam 1973 für seine Rundfunkarbeit den Kurt-Magnus-Preis der ARD (besteht seit 1962 und erinnert an den deutschen Rundfunkpionier Kurt Magnus, der 1923 zu den Mitbegründern der Berliner "Funkstunde AG" gehörte) verliehen.

Michael Koser lebt heute in Wilhelmshaven.

Nachdem man 1982 den Professor hatte sterben lassen, gab es beim RIAS Unmengen an Beschwerdebriefen und -anrufen, die forderten, die Serie fortzusetzen. Daraufhin wurde die Serie wieder aufgenommen und der Professor durfte von den Toten auferstehen.

Die letzte Folge "van Dusens größter Fall" spielt in Deutschland im April 1912.

Am Ende dieser Folge hinterläßt Professor van Dusen seinem treuen Gefährten Hutchinson Hatch eine Nachricht, daß er den Superverbrecher Caligula weiterverfolgt und deshalb von Cherbourg aus mit der Titanic nach Amerika fahren wird.

Ob der Professor sich wirklich unter den Opfern befand, wird offengehalten.

Das letzte Lied in dieser Serie ist das gleiche wie auf der Titanic. Die Serie endet am 8. Mai 1999 mit dem Choral "Näher mein Gott zu dir".

Michael Koser entwickelte noch andere Serien wie zum Beispiel "Jonas, der letzte Detektiv", welche heute noch mit neuen Folgen ausgestrahlt wird oder auch "Cocktail für zwei", eine Serie, von der es nur 8 Folgen gab.

Die letzte Folge dieser Serie trägt interessanterweise den Titel "Titanic Smash" und dreht sich um die angebliche Titanic-Verschwörung, in der die Titanic und die Olympic vertauscht wurden.

Außer den bisher genannten Hörspielen gibt es natürlich auch noch andere Hörspiele, die sich mit der Titanic befassen. Am bekanntesten dürfte wohl das Hörspiel "Der Untergang der Titanic" von Ursula Völkel sein.

Mir sind dazu noch bekannt: "Die erste und letzte Fahrt der Titanic" aus der Serie Abenteuer der Pioniere, aus der Serie Knickerbockerbande die Folge "Titanic, bitte melden", aus dem Verlag Hoffmann und Campe "Die letzten 160 Minuten der Titanic" nach dem Buch von Wolf Schneider und natürlich das Hörspiel "Titanic - Die Tragödie eines Ozeanriesen" von Josef Pelz von Felinau, welches es 1998 als neubearbeite Fassung vom Hörverlag zu kaufen gab.

Wer Glück hat, kann dieses Hörspiel allerdings auch noch als original Radiomitschnitt bekommen. Desweiteren gab es in der relativen neuen Serie "Das Tal der Könige" eine Folge namens "Die Titanic" und natürlich die Vertonung von Douglas Adams "Raumschiff Titanic".

Weiter Hörspiele sind mir derzeit nicht bekannt.

Über weitere Informationen würde ich mich aber freuen.

Jacques Futrelle hat mit der Figur des Dr. van Dusen Kriminalromangeschichte geschrieben.

Es ist schwer sich vorzustellen, was für spannende Abenteuer er uns noch beschert hätte, wenn er nicht auf der Titanic ums Leben gekommen wäre.

Aber vielleicht findet die RMS Titanic Inc. auf einer ihrer Bergungsfahrten die versunkenen Geschichten des Prof. Dr. Dr. Dr. Augustus van Dusen.

Getreu dessen Motto

"Einem wahrhaft intelligenten Menschen ist nichts, wohlgemerkt nichts, unmöglich!"

© 2018 Thorsten Totzke